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Kerala Flut - Kuttanad ertrinkt in Kloake

Ein Paradies im Ausnahmezustand

Jvo A. Maurer - 13.11.2018

Hinschauen ist ein Anfang! Etwas weiter südlich haben wir unser Basislager in Allepey aufgeschlagen, Ziel ist Kuttanand. Die Touristensaison beginnt dieses Jahr zäh, auch hier sind wir die einzigen im Hotel, und das obschon alles in grösster Eile wieder hergerichtet wurde.

Auf einem kleinen Holzboot geht es auf den Backwaters land- bzw. Flusseinwärts. Die Hausboote, die normalerweise die Besucher durch die Kanäle schippern stehen angebunden am Flussufer eingereiht und bereit, für die Gäste die nicht kommen. Unser Bootsmann steuert in eine kleine Mündung. Mit jedem Meter den wir weiter kommen wirken die Häuser einfacher, heruntergekommener und die geschaffigen Anwohner freundlicher. Sie winken und lächeln während sie waschen, fischen oder baden. Es geht zu Fuss weiter, kaum zehn Schritte weiter treffen wir auf Häuser, oder was von ihnen übrig blieb, bei denen die Wasserstandmarken bis über die Fenster hinaus reichen. Eine ältere Frau steht versteckt im Dunkel in einem der Fenster und ruft uns zu sich. Obschon ich die Sprache nicht verstehe, die Verzweiflung ist deutlich zu hören.

Anwohner bringen uns zu den Häuser die es am schlimmsten traf. Plötzlich stehen wir auf einem Vorplatz einer heruntergekommenen Baracke. Das Land hier liegt mindestens zwei Meter unter dem Meeresspiegel. Eine Traube Menschen sammelt sich um uns, es wird laut und die Emotionen in den Worten sind deutlich spürbar.

Es riecht nach Kloake

Ein älterer Mann sitzt im Eingang der schäbigen Bruchbude, zieht an einer Zigarette. Seine Frau erklärt dass hier keine Hilfe ankommt, nur selten kommen Leute vorbei, vom Staat, NGO’s oder Reporter. Getan aber wird nichts. Arbeiten können sie hier nicht, ihre Lebensgrundlage, die Agrarfelder seien verwüstet, das Wasser zieht nur langsam ab. Ausser den Staatlichen Reisrationen haben sie nichts zu Essen. Sie zeigt auf eine Blache die eine Rinne zu einem kleinen Fass bildet. Da haben sie ihr Trinkwasser her, wenn es regnet. Diesen Monat wird es noch regnen, ab Dezember bis in den späten März aber nicht mehr.

Einer der Männer zeigt auf ein Haus, welches etwas abseits umzingelt von Wasser steht. Hier wohne er, mit seiner Mutter und zwei Kindern, erklärt er. Seit Monaten müssen sie durch die Kloake klettern um zu ihrem Daheim zu kommen. Demonstrativ steigt er in den Sumpf und kämpft sich zu seiner Hütte. Es bleibt ein lautes durcheinander, alle erzählen und schimpen gleichzeitig. Ein paar Statsangestellte waren hier, und einige Reporter, aber niemand würde zu ihrem Haus gehen, ruft er. Ich will das genauer sehen, stelle meinen Rucksack am Zaun ab und folge ihm zum Wasser. Die Anwohner fuchteln wie wild mit den Armen und rufen mir zu, meine Gefährten übersetzen: “Gehe da nicht hin, das Wasser ist voller Unrat, es ist gefährlich!” Doch als unser Fotograf Bijil bereits schon die Hälfte des Weges durch den Matsch geschafft hat, klettere ich dennoch etwas unbeholfen über die Baumstämme in die braune Brühe. Es wird plötzlich stiller. Nicht lange und stehe Knietief in einer schleimigen Sauce deren Geruch alles übertrifft, was ich bisher in Indien erlebt habe. Vorwärts komme ich kaum, meine Füsse graben sich tief in den Schlamm ein. Der nach Alkohol riechende Mann, der anfänglich am lautesten geschumpften hatte, steht plötzlich still neben mir und hilft mir zuvorkommend vorwärts kommen.

Keine Arbeit, kein Geld, kein Essen, keine Zukunft.

In der Türe der drei mal sechs meter grossen Baracke steht eine gut über 80 jährige, abgemagerte Frau. Ihr fehlen Zähne. Sie hört nicht mehr auf zu erzählen. Ihre zwei Enkel leben hier mit ihr, und ihr Sohn. Sie würden krank. Jeden Tag müssen sie zur Schule durch diesen Sumpf, nach dem durchqueren des Wassers können sie ihre Schuluniformen anziehen. Ich frage mich wie sie das wohl machen, ohne Wasser um sich waschen. Über dem glänzenden Nass hängen ein paar Kleiderlumpen die zum trocknen aufgehängt sind. Es ginge nicht weiter so, erzählt sie unter Tränen. Keine Arbeit, kein Geld, kein Essen, keine Zukunft. Niemand wolle hier mehr mehr heiraten und hinziehen. Aber sie können nicht weg, mit was auch? Ich höre ihr wohlwollend zu, obschon ich kein Wort verstehe. Ihr Sohn holt ein bündel Papier aus der Hütte und zeigt mit dem Finger darauf. Geschrieben habe er, dem Staat, NGO’s, um Hilfe gebeten. Niemand kümmere sich. Beinahe 40 Familien seien sie hier in der Gegend, allen geht es ähnlich. Allen würde geholfen, nur diesem Quartier nicht.

Nach einer gleichermassen schwierigen Kletterpartie stehe ich zurück auf dem Vorplatz, es sammeln sich weitere Nachbarn um uns. Kaum komme ich aus dem Sumpf geklettert, holt einer der Männer eine Kanne Wasser aus der Hütte und spült mir die Beine. Es ist ihr weniges Trinkwasser. Ein Gefühl von Beschämniss erfüllt mich. Während sich meine Crew weiter mit den Anwohner unterhaltet, werden uns frische Kokosnüsse aufgeschnitten und angeboten.

Das Bild verändert sich kaum, nur die Wassertiefe, durch die wir klettern.

Eine Frau erscheint und bittet uns darum ihr Haus auch anzusehen. Natürlich folgen wir, zusammen mit der bereits bestehenden Entourage von Anwohner. Über einen grösseren Umweg gelangen wir zu ihrem Haus, welches eigentlich gleich neben der Baracke stehen würde die wir eben besuchten, aber die Pfade die die beiden Häuser verbindet ist durch das stehende Wasser praktisch unpassierbar. Ab da stehen wir nur noch im Wasser um uns ein Haus nach dem anderen anzuschauen. Das Bild verändert sich kaum, nur die Wassertiefe, durch die wir klettern.

Ein älterer Mann kommt dazu, auf seinem Arm ein kleines Mädchen. Er ziehe die Kleine jetzt auf, ihr Vater starb an den folgen einer Vergiftung, verursacht durch das Flutwasser. Die Debatten gingen lange weiter. Das Einzige was wirklich helfen würde wäre ein Umzug. Das Leben hier habe keine Zukunft. Oder nur, wenn eine 300 Meter lange Mauer gebaut würde, so wie das um alle anderen Gebiete hier bereits gemacht wurde, um die Überflutung zu stoppen. Aber das ginge nicht, denn selbst wenn das finanziert werden könne, was nicht der Fall ist, würde es politische und religiöse Kräfte geben die das wieder verhindern. Aber eins sei klar, weiterleben können sie so nicht. Es fehlt nicht nur an Jobs, Essen und Wasser, sondern über allem an Einheit. Futterneid und Machtkämpfe ersticken jeden Funken nachhaltiges Aufbauen im Kern.

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